GM Ray Tischbierek (Foto: Karsten Wieland)Raj Tischbierek, Jahrgang 1962, erlernte in seiner Geburtsstadt Leipzig das Schachspiel. Sein erster Verein war Chemie Leipzig. 1987 und 1990 war er DDR-Meister, der Titel „Internationaler Großmeister“ wurde ihm 1990 verliehen. 1991 übernahm er die Zeitschrift „Schach“ in Berlin. Er spielte (und spielt) in verschiedenen Vereinen der 1. Bundesliga in Deutschland und Österreich.

Leipzig ist Ihre Heimatstadt. Der Deutsche Schachbund wurde in Leipzig gegründet und der SVS wurde vor 25 Jahren ebenfalls in Leipzig wiedergegründet. 1960 fand hier die Schacholympiade statt. Was treibt Sie nach Leipzig und wie sehen Sie die hiesige Schachszene?

Meine Eltern wohnen nach wie vor in Leipzig, weshalb ich häufig in der Stadt bin. Deshalb nehme ich auch gern an kleinen Turnieren in Leipzig teil. Zwei Mal im Jahr treffe ich meine früheren Wegbegleiter Rainer Knaak, Lothar Vogt, Manfred Schöneberg und Detlef Neukirch zu unserer traditionellen Doppelkopfrunde.

Ein fundiertes Urteil zum Schachleben in Leipzig kann ich mir nicht erlauben, da bin ich doch zu weit weg. Ich würde mir ein, zwei regelmäßige Schnellschach-Turniere wünschen, so wie früher das Allianz-Open im August, das es leider nicht mehr gibt.

Weshalb wollen Sie an der DSEM Leipzig teilnehmen?

Ich kann drei angenehme Dinge miteinander verbinden: meine Eltern und meine Heimatstadt besuchen und Schach spielen!

Was ist die besondere Herausforderung beim Schnellschach im Vergleich zum Schach mit normaler Bedenkzeit?

Ich spiele gern Schnellschach, weil man sich nicht so intensiv vorbereiten muss wie bei normalen Turnierpartien. Man kann auch mal „faule“ Varianten spielen, ohne gleich zwingend dafür bestraft zu werden. Und es bleibt nicht viel Zeit, sich über Niederlagen zu ärgern, weil die nächste Partie schon wartet. In normalen Turnieren bereiten sich die Gegner heutzutage sehr gut auf die Eröffnungen des Gegners vor – um die es bei mir, da ich nicht mehr an meinem Schach arbeite, nicht zum Besten bestellt ist. Hier wird am Tag gewöhnlich nur eine Partie gespielt. Die Vorbereitung spielt eine große, für mich eine zu große, zeitraubende Rolle. Beim Schnellschach kann man nicht so schnell ausgerechnet werden, weil man an einem Tag mehrere Partien spielt und zwischen den Runden keine Zeit für die individuelle Vorbereitung auf den Gegner bleibt.

Bleibt Ihnen als Chefredakteur von „Schach“ Zeit, an Schachturnieren teilzunehmen?

Ja, ich nehme mir die Zeit und spiele meist zwei Turniere im Jahr. Dabei versuche ich, Schach und Urlaub zu verbinden. Mein Favorit ist das Open Capo d’Orso auf Sardinien. In der Bundesliga sitze ich noch hin und wieder für den USV TU Dresden am Brett.

Ist Ihre Zeitschrift „Schach“ im gesamten Deutschland angekommen oder wird sie vorzugsweise von Leuten in den neuen Bundesländern abonniert? Und wie steht es um das Generationsproblem?

Diese Unterschiede – Ost und West – gibt es bei „Schach nicht mehr. Zumal wir 1996 den „Schach-Report“ übernommen und dadurch viele Leser in den alten Bundesländern gewonnen haben.

Kinder und Jugendliche nehmen heute immer seltener eine Zeitung oder Zeitschrift in die Hand, sie informieren sich zunehmend im Netz. Seit einigen Monaten verfügen wir über eine eigene App, mit der man „Schach“ auch mobil lesen und die enthaltenen Partien nachspielen kann. Ob Schachzeitschriften damit auf Dauer überleben können, bleibt abzuwarten, aber zumindest sind wir im Sinne des Zeitgeistes gut aufgestellt.

Sie sind einer der wenigen Teilnehmer der DSEM, die das Schach in der DDR und im wiedervereinigten Deutschland erleben und erlebten. Was hat sicher verändert, auch im Vereinsleben?

In der heutigen Zeit ist es viel schwieriger, vom Schach zu leben, als in den 80er und 90er Jahren. Das Niveau und die Breite nehmen immer mehr zu. Die Nachwuchskräfte in Deutschland sehen Schach nur noch in den seltensten Fällen als berufliche Perspektive, sie konzentrieren sich auf ihr Studium oder die Berufsausbildung. Um sich mit Schach ein vernünftiges Auskommen zu sichern, bedarf es einer Spielstärke von mindestens 2600, und selbst dann ist es häufig mühsam. Viele starke Spieler geben Training, schreiben oder organisieren Events, sind also im weiteren Sinne auch schachlich tätig, verdienen ihren Lebensunterhalt aber nicht durch das reine Spielen – was auch gar nicht ginge. Um diesen „Nebenerwerb“ hat sich eine richtige kleine Industrie aufgebaut, daran war vor 30, 40 Jahren noch nicht zu denken.

Vereinsarbeit baut auf das Ehrenamt. Ich zum Beispiel verdanke Hans-Herbert Seyfarth sehr viel, der mich als heranwachsendes Talent im Pionierhaus Leipzig unter seine Fittiche genommen und mich und meine Mannschaft(en) über Jahre hinweg zu allen kleinen und großen Turnieren begleitet hat. Oberflächlich denkt man, dass es diesen sich für den Verein selbstlos aufopfernden Typus immer seltener gibt und baut eine Art Bedrohungsszenario auf – im Schach zumindest gibt es ihn aber immer wieder. Ob jedoch im gleichen Umfang wie früher, vermag ich nicht zu beurteilen.